O L D I E S
Franz Schöler ist seit über 40
Jahren aufmerksamer Be-
obachter der Musikszene. In
STEREO kommentiert er neu
erschienene Aufnahmen der
Rock- und Popgeschichte.
Crosby S tills Nash and Young
CSNY 1974
Rhino 3
CDs (196’) +
DVD_____________
REPERTOIREWERT
★ ★ ★ ★ ★
ÜBERSPIELQUALITÄT ★ ★ ★ ★ ★
Das Big-Band-Abenteuer mit Ma-
nassas hatte die finanziellen Res-
sourcen von Stephen Stills sehr
strapaziert, und wie Graham Nash
in seiner Autobiografie erzählt,
freundete er sich wie die Kollegen
Crosby und Young vor allem wegen
der Aussicht auf eine enorme Gage
mit der Idee einer erneuten gemein-
samen Tournee an. Die war, wie Pe-
te Long am Ende seiner Liner No-
tes zu diesem Set erklärt, bald ge-
prägt von Hedonismus, Egoismus
und Hybris. Wieso es eine „Reise
ins Verderben“ wurde, erzählt Nash
seitenlang in besagten Memoiren.
Trotzdem machte er sich mit Joel
Bernstein knapp vier Dekaden spä-
ter an die Arbeit, aus neun ganz
mitgeschnittenen Auftritten (von
35
Konzerten) eine Best of-Ausle-
se zu treffen. Wobei Songs teils aus
mehreren Mitschnitten zusammen-
gesetzt und technische Unzuläng-
lichkeiten auch der i
6
-Spur(!)-Auf-
nahmen so weit wie machbar aus-
gemerzt wurden. Aber auch die-
ser technisch geschönten Rekons-
truktion eines Ideal-Konzerts der
i
974
er-Tournee - elektrische Sets
auf CD
1
und
3
, akustische
78
Mi-
nuten auf CD
2
- gelingt es
nicht immer, die ganz große
musikalische Harmonie vor-
zutäuschen.
Bei Stephen Stills’ „Suite:
Judy Blue Eyes“ hat man den
Eindruck, einer Probe beizu-
wohnen, bei der weder Ein-
sätze korrekt sind noch im
mehrstimmigen Gesang die
richtigen Noten getroffen
werden. Live-Deutungen von
großen Songs wie „Change
Partners“ fallen gegenüber den
Studio-Originalen bisweilen krass
ab. Was nicht mit dem „distinct
lack of team spirit“ zu tun hat, den
ein Kritiker der
1971
veröffentlich-
ten Doppel-LP
„4
Way Street“ von
CSNY vorwarf, sondern mit dem
Laissez-faire-Geist, mit dem man
die Marathon-Auftritte in riesigen
Arenen vor auch schon mal
70.000
und mehr Besuchern sozusagen er-
eignen ließ. Neil Young immerhin
lief dabei solo zwischendurch öf-
ter zu mehr Form auf, und bei sei-
nem „Revolution Blues“ präsentier-
ten sich CSNY ausnahmsweise wie
eine große Band! Die besten Mo-
mente findet man fast exklusiv auf
CD
3
- auf der DVD dagegen keine.
OLDIE DES
MONATS
The W ho
QUADROPHENIA
Universal Blu-ray (auch
als LP erhältlich)
(81’)
REPERTOIREWERT
★ ★ ★ ★
ÜBERSPIELQUALITÄT ★ ★ ★ ★
Als Franc Roddam
1979
die Mods
vs. Rockers-Saga der Who verfilm-
te, spielte Sting in der Rolle von
Ace Face den King of the Mods, be-
wundert von Titelheld Jimmy, den
Phil Daniels kongenial wie von
Pete Townshend angelegt porträ-
tierte. Für die Wiederveröffentli-
chung des Films auf Blu-ray be-
auftragte Townshend Alan Salla-
bank mit einem kompletten
5
.
1
-Re-
mix des Soundtracks, der von der
Fachkritik („This is dynamite work
of the highest caliber!“) mit Su-
perlativen für die Qualität der Sur-
round-Tonspur überhäuft wurde.
Auf Rezitative hatte Townshend bei
seiner dritten Rockoper verzich-
tet. Diese die Handlung verbinden-
den Elemente, als Demos einge-
spielt, veröffentlichte er schließlich
doch unter den Aufnahmen der bei-
den Bonus-CDs der Super-Deluxe-
Edition. Die präsentierte Ende
2011
zum einen das Remaster ei-
ner kompletten Neuabmischung,
die Jon Astley für die Ausgabe von
1996
produziert hatte. Auf den Bo-
nus-CDs
25
Demos. Und auf ei-
ner DVD-Audio acht der
17
Auf-
nahmen in Surround-Mixes. Dass
Townshend sich damals nicht da-
zu durchringen mochte, „Quadro-
phenia“ zur Gänze als
5
.
1
-Remix zu
produzieren, war schon deswegen
höchst bedauerlich, weil mit „I’m
One“ ausgerechnet jener wunder-
bar lyrische Song als Remix fehlte,
den Townshend als den ihm liebs-
ten des ganzen Projekts überhaupt
bezeichnet hatte.
Jetzt liegen mit der Veröffent-
lichung auf Blu-ray endlich doch
noch alle Songs des Original-Al-
bums komplett im
5
.
1
-Mix vor. Das
Ergebnis klingt nichts weniger als
spektakulär. Einziger Wermutstrop-
fen vielleicht: Bass und Schlagzeug
kommen immer noch nicht ganz
so formidabel im Mix zur Geltung
wie bei überragenden Who-Klas-
sikern a la „I Can See For Miles“
oder „Who’s Next“. Aber „Quadro-
phenia“ wird hier in Transparenz,
Tiefenschärfe und Plastizität zum
noch fesselnderen Hörerlebnis -
Instrumente und Stimmen wunder-
bar differenziert und ausgewogen,
sprich: ohne jegliche Effekthasche-
rei und mit subtilsten Nuancen in
Szene gesetzt. Das gilt auch für die
Dramaturgie und Positionierung im
Mix. Auch kleinste Intonationspro-
bleme der Gitarre bei kurzen Solo-
passagen sind wahrnehmbar. Die
hat Townshend nicht nachträglich
durch neue Overdubs korrigieren
lassen. Der klangliche Unterschied
zwischen DTS- und DD
5
.
1
-Spur ist
in diesem Fall, wenn überhaupt,
marginal! Bob Pridden und Richard
Whittaker erledigten ihren Job sou-
verän meisterlich wie bei der Ab-
mischung des Londoner Konzert-
mitschnitts.
Diverse M usiker
TROUBADOURS -
FOLK AND THE ROOTS OF
AMERICAN MUSIC VOL. 1-4
Bear Fam
ily je 3
CDs (203’, 226’, 233’, 257’)
REPERTOIREWERT (alle)
★ ★ ★ ★
ÜBERSPIELQUALITÄT (alle) ★ ★ ★ ★ ★
Einige der größten Singer-Song-
writer wie Randy Newman waren
musikalisch nie durch Folk-Tradi-
tionen geprägt. Andere von Bob
Dylan bis Neil Young ließen ihre Fol-
kie-Ambitionen (relativ) bald hinter
sich. Meister wie John Prine, Mi-
ckey Newbury oder Guy Clark stan-
den auch in ihren Anfängen weniger
unter Folk-Verdacht als zunächst
Jefferson Airplane oder Quicksil-
ver Messenger Service. Dersel-
be Hamilton Camp, dessen „Pride
Of Man“ letztgenannte Psychede-
lik-Rocker als ersten Song für ihre
Debüt-LP aufnahmen, taucht - eine
der obskursten Figuren der Szene
zu Beginn der
60
er-Jahre! - in die-
ser Serie genauso auf wie die sicher
nicht jedermann bekannten Eric von
Schmidt oder Spider John Koerner.
Bei diesem Projekt hatte man of-
fenbar den Ehrgeiz, neben allseits
bewunderten Songschreibern von
A. P. Carter und Woody Guthrie bis
Fred Neil und Joni Mitchell mög-
lichst viele Komponisten und In-
terpreten zu präsentieren, die in
der Geschichte der amerikanischen
Folk Music zumindest eine Zeit lang
durch außerordentliche Song-Bei-
träge und Aufnahmen aufgefallen
waren.
Das war neben den politisch er-
klärt links stehenden Weavers En-
de der
40
er-
Jahre
zum
Beispiel auch
Eliza
Gilky-
sons
Vater
Terry. Jemand
wie Dave Van
Ronk verach-
tete Lagerfeu-
er-Romantiker
ä la Kingston Trio. Andere wie Tim
Hardin oder Paul Siebe! lieferten
Kollegen mit wunderbaren Songs
große Vorlagen, um dann an ih-
rer Drogensucht zugrunde zu ge-
hen. Es ist ein grandioses Füllhorn
an Evergreens, die hier geboten
werden. Weil der Begriff Folk sehr
weit gefasst ist, enthält das Set
auch fünf der größten Ohrwürmer
von Jim Croce; und natürlich Buffy
Sainte-Maries Anti-Drogen-Klas-
siker „Cod'ine“, einer ihrer sechs
Songs hier.
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problem atisch I ★ schlecht
STEREO 10/2014 141